Die Frage „Wo stehen wir im Wirtschaftszyklus?“ scheint auf den ersten Blick einfach, ist jedoch durch die Vielzahl an makroökonomischen Faktoren alles andere als trivial zu beantworten. In den letzten Wochen hat sich einiges verändert, und die Entscheidungen der Notenbanken und die Entwicklung der Inflation geben interessante Hinweise darauf, wohin die Reise geht.
1. Die sportliche Zinssenkung der FED: Ein Zeichen der Voraussicht oder Schwäche?
Einer der bemerkenswertesten Schritte war diese Woche die deutliche Zinssenkung der Federal Reserve um 0,5%, wodurch der Leitzins auf 5% gesenkt wurde. Viele Marktteilnehmer hatten mit einer moderateren Senkung von 0,25% gerechnet. Doch was wirklich ins Auge stach, war das Ausmaß auf weitere mögliche Zinssenkungen: Laut Jerome Powell, dem Chef der FED, könnten die Zinsen in 2024 um weitere 0,5% und im darauffolgenden Jahr um 1% gesenkt werden.
Dies wirft interessante Fragen auf:
- Handelt Powell vorausschauend? Möchte die FED der Marktbeobachtung zuvor kommen, um nicht den Eindruck zu erwecken, sie reagiere zu zögerlich auf Wirtschaftsdaten?
- Oder ist das ein klares Zeichen dafür, dass die US-Wirtschaft schwächelt? Zinssenkungen in diesem Umfang deuten oft auf eine verlangsamte Wirtschaft hin, bei der die Nachfrage stimuliert werden soll, um einer Rezession entgegenzuwirken.
Diese Fragen unterstreichen die Unsicherheit darüber, wo die Wirtschaft tatsächlich steht und welche Erwartungen an das Jahr 2024 geknüpft werden.
2. Inflation: Licht und Schatten zugleich
Ein weiterer zentraler Faktor im aktuellen Wirtschaftszyklus ist die Entwicklung der Inflation. In vielen westlichen Ländern sinken die Inflationsraten und erreichen allmählich wieder die angestrebten Zielwerte. In den USA ist die Inflation auf 2,5% gefallen, in UK auf 2,2%, und in Deutschland liegt sie inzwischen sogar bei 1,9%.
Doch bevor Euphorie aufkommt, sollte man auf die Kerninflation schauen, also die Inflation ohne volatile Komponenten wie Energie- und Nahrungsmittelpreise. Und hier zeichnet sich ein ganz anderes Bild ab:
- USA: 3,2%
- UK: 3,6%
- Deutschland: 2,8%
Wie ist das möglich? Die Kerninflation verharrt auf höheren Niveaus als die Gesamtinflation, da sie weniger von kurzfristigen Preisschwankungen beeinflusst wird. Wenn man diese beiden Kennzahlen als Kurven im Zeitverlauf betrachtet, ist die Gesamtinflation mittlerweile unter die Linie der Kerninflation gefallen – ein Signal dafür, dass der Preisdruck zwar nachlässt, die Preise in Bereichen wie Dienstleistungen jedoch weiterhin hoch bleiben.
3. Deflation: Eine mögliche Gefahr?
Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass eine negative Inflation – also Deflation – nicht einfach das Gegenteil von Inflation ist, sondern mit erheblichen wirtschaftlichen Risiken einhergeht. Deflation bedeutet, dass die Preise tatsächlich fallen, was zwar auf den ersten Blick positiv wirkt, jedoch oft mit einem Wachstumsrückgang und sinkender Nachfrage verbunden ist. Wenn Unternehmen weniger Umsatz machen und Verbraucher ihre Ausgaben verschieben, weil sie auf noch niedrigere Preise hoffen, gerät die Wirtschaft in einen gefährlichen Abwärtssog.
4. Die Reaktion der Börsen
Die Börsen haben in den letzten Tagen gemischt auf die makroökonomischen Entwicklungen reagiert. Insbesondere der Wochenschluss war durch Verluste an den Aktienmärkten geprägt, wobei die USA einmal mehr den Ton angaben.
Einen Einfluss hatte wahrscheinlich die Aussage von Jamie Dimon, dem Chef der US-Großbank JPMorgan Chase, der laut Reuters äußerte, dass er wohl nicht von einer „sanften Landung“ der Aktienmärkte ausgeht. Diese Aussage, kombiniert mit dem überraschenden Maß der Zinssenkung durch die FED und den global unklaren Inflationsentwicklungen, haben viele Investoren verunsichert und könnten auf eine längere Phase der Unsicherheit an den Märkten hinweisen.
Fazit: WoAngesichts der derzeitigen Zinspolitik, den gemischten Inflationssignalen und der Unsicherheit an den Börsen kann man sagen: Wir befinden uns in einer Phase der wirtschaftlichen Verlangsamung und in Deutschland sind wir bereits offiziell in einer Rezession.
Die kommenden Monate werden entscheidend sein. Je nachdem, wie die US-Notenbank ihre Zinssenkungen fortsetzt (moderat oder forsch) und ob die Inflation weiter sinkt. So könnten wir eine Phase der Stabilisierung erleben – allerdings bleibt die Gefahr einer Deflation im Raum. Für Anleger bedeutet dies, dass sie sich auf erhöhte Volatilität an den Märkten einstellen sollten, während die Unsicherheiten auf kurze Sicht bestehen bleiben.
Für die Wirtschaft ist und sind weitere Zinssenkungen auf jeden Fall positiv, da Investitionen wieder günstiger finanziert werden können. Entscheidend ist aber auch die Nachfrageseite, um einen nachhaltigen Aufschwung zu erzielen.
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Ihre
Ulrike Hock
SmartIC – Smart Investor Coaching
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